„Zamhocka“: Symposium
„Heilwissen & Rezeptsammlungen aus Bayern, Tirol und der Schweiz um 1800“
Referenten aus Bayern, Österreich und der Schweiz haben zu diesem Thema gesprochen. Alle Vorträge und Referate können Sie nachhören. Klicken Sie dazu im linken Feld auf die entsprechenden Namen und hören Sie sich die Audiodatein an.
MAG. DR. MICHAEL SPAN
Leiter des Tiroler Volkskunstmuseums Innsbruck:
Schmerzmittel - Farbpigmente - Schutzzauber. Ein frühneuzeitliches „Artzneybüechl“
aus dem Tiroler Raum.
PROF. DR. MICHAEL STOLBERG
vom Institut für Geschichte der Medizin Universität Würzburg:
Ärzte und Laienbehandler im ländlichen Bayern um 1800.
MAG. PHARM. ARNOLD ACHMÜLLER
südtiroler Apotheker, der in Wien lebt und über
südtiroler Volksarzneitraditionen schreibt: Bäuerliche Heiltradition in Südtirol des 19. Jahrhunderts
am Beispiele Ragginer und des Lackmüllers aus Verdings.
DR. URSULA HIRTER-TRÜB
aus Basel, Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte
der Pharmazie: Das Arzneien Buch von Christian Langen 1721. Bericht über die detektivische Suche
nach den Ursprüngen der Handschrift.
PODIUMSGESPRÄCH
MARTINA GLATT
vom Müllner Peter Museum Sachrang:
Das „Sachranger Rezeptbuch“: Rezeptsammlung aus dem Besitz
des Müllner Peter, bis ins Mittelalter zurückgehend.
DR. GÜNTER FLEISCHMANN
Apotheker aus Bad Aibling:
Die Ausstellung über das Schreibbuch des Müllner Peter und die darin enthaltene Materia medica.
Antimonbutter & Fingerwurm
Pharmaziehistorische Sonderausstellung 1. Mai bis 31. Oktober 2023 im alten Schulhaus in Sachrang über das wiedergefundene Schreibbuch des Müllner-Peter, der dort um 1800 als Dorfheiler gewirkt hat, mit Darstellung der darin enthaltenen Arzneien für die Menschen und das Vieh. Apotheker Dr. Günter Fleischmann
Liebe Besucher!
Zunächst will ich erklären, wie ich zu dieser interessanten Aufgabe kam. Ich bin nämlich kein Historiker, sondern einfach ein Apotheker mit besonderem Interesse an der bayrisch-alpenländischen Pflanzenheilkunde und den hiesigen Volkstraditionen mit Heilpflanzen und versuche, bei meinen Kräuterwanderungen möglichst viel von meinem Wissen auf diesem Gebiet einzubringen. Wie ich vor Jahren anfing, Führungen auf den Bergen des Chiemgaus vorzubereiten, suchte ich den Kontakt zu Martina Glatt, der weisen Kräuterfrau aus Aschau, die auch das Müllner-Peter-Museum und den zugehörigen Kräutergarten betreut, um mir bei ihr Anregungen zu holen. Wir merkten rasch, dass wir uns in unserem Kräuterwissen gut ergänzten, und fingen an, gemeinsam Kräuterwanderungen durchzuführen, die immer sehr gut ankamen.
Oft fragte ich Martina: In manchen Bauernhöfen schlummert doch ein altes Kräuterrezeptbuch einer heilkundigen Bäuerin oder eines Almdoktoren unbeachtet hinter der Ofenbank - kannst du mir nicht einmal so eine Rezeptsammlung besorgen? Das stellte sich als sehr schwierig heraus, weil die Besitzerinnen so ein Buch nicht ans Licht der Öffentlichkeit bringen möchten, damit nicht die Magie verlorengeht, die oft in alten Rezepten steckt, und sie dann wirkungslos werden.
Stattdessen bekam ich von Martina plötzlich das wiedergefundene und bis dahin noch nie wissenschaftlich ausgewertete Schreibbuch des Müllner-Peter in die Hand und war umso mehr erfreut, weil es sich ja bei ihm um einen über das Priental hinaus bekannten Dorfheiler handelt.
Ich erwartete mir eine Sammlung von Pflanzenrezepten, ähnlich wie im sogenannten „Sachranger Rezeptbuch”, einer sehr umfangreichen alten Handschrift, die zwar aus dem Besitz des Müllner-Peter stammt, aber nicht von seiner eigenen Hand geschrieben wurde, und die der Arzt und Germanist Dr. Dr. Christoph Glaser bereits ausgewertet und veröffentlicht hat - das Buch ist übrigens hier im Museum zu erwerben.
Aber dann kamen die Enttäuschungen: Müllner-Peter konnte sehr schön und sorgfältig schreiben, wenn er wollte, wie wir in seinen sorgfältig ausgeführten Noten-Handschriften sehen, aber sein Schreibbuch war schwer zu entziffern, weil es ja nur für den Eigengebrauch bestimmt war und weil die übliche Schreibschrift um 1800 ganz anders ausschaut als die vertraute Deutsche Schrift oder Sütterlin-Schrift aus der Zeit unserer Großeltern und Urgroßeltern. Zum Glück half mir mein Sohn, der eine besondere Neigung zu alten Schriften hat und auch einen Titel des Magisters der Pharmazie trägt und sich mit der Fachsprache auskennt. Er sagte mir gleich: Papa, lass die Finger davon - das hat fast nichts mit Heilpflanzen zu tun, sondern da geht's um lauter giftige Zubereitungen von Arsen, Antimon, Blei und Quecksilber, mit denen doch heute niemand mehr etwas zu tun haben möchte und die man auch niemandem zumuten sollte.
Doch ich ließ mich nicht entmutigen und fing an, mich mit dem Inhalt der Texte genauer zu beschäftigen. Neben den amtlichen Arzneibüchern der damaligen Zeit, also der lateinisch geschriebenen Pharmacopoea Austriaco-Provincialis von 1795, die sich ja auch in Müllner-Peters Besitz befand, und der Pharmacopoea Bavarica von 1822 zog ich am liebsten Hahnemanns Apothekerlexikon zurate. Samuel Hahnemann war erstens Müllner-Peters Zeitgenosse und zweitens ein sehr kritisch und fortschrittlich denkender Arzt, der sich nicht nur als Begründer der Homöopathie, sondern auch als Autor wertvoller wissenschaftlicher Werke einen Namen gemacht hat, zu denen das Apothekerlexikon aus den Jahren 1792-1797 zählt, also aus der Zeit, aus der wohl auch Müllner-Peters Aufzeichnungen stammen. Daneben halfen mir die bedeutenden Nachschlagewerke des 19. Jahrhunderts: Schmellers Bayerisches Wörterbuch, das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm und Höflers Deutsches Krankheitsnamen-Buch.
Je mehr ich mich in die Aufgabe vertiefte, umso mehr Gefallen fand ich daran und umso mehr erlebte ich, dass ich aus dem alten Wissen auch Nutzen für meine heutige Apothekertätigkeit ziehen kann, denn man versteht die Gegenwart besser aus einem historischen Zusammenhang und der historischen Entwicklung heraus. So war die Veröffentlichung des Schreibbuchs eine große Bereicherung für mein Verständnis der Pharmazie, und ich machte mich mit viel Freude daran, diese Ausstellung zu gestalten, durch die ich Sie nun führen darf.
An den Anfang der Ausstellung haben wir zwei Vitrinen mit besonderen Reizwörtern gestellt, nicht nur um damit Neugier zu erregen, sondern auch, weil diese Begriffe interessante Fragen aufwerfen.
Müllner-Peters Schreibbuch S.9 Butyrum Antimonii - Antimonbutter
Vitrine „Antimonbutter”
Was ist Antimonbutter? Wo kommt die wohl her? Und: woher hatte sie der Müllner-Peter? Woher hatte er hier in einem Gebirgstal überhaupt seine weitgefächerte Palette an Heilmitteln?
Ist die Antimonbutter eine Butter, die man aufs Brot schmieren kann? Keinesfalls, denn sie ist im höchsten Grade ätzend für Haut und Schleimhäute! Deshalb wurde sie bei Mensch und Tier eingesetzt zum Wegätzen von Warzen und Polypen, wildem Fleisch und Krebsgeschwüren, sowie zum Ausätzen von mit Tollwut infizierten Bisswunden. Sogar am Auge wendete man die Antimonbutter ganz vorsichtig an, indem man eine darin getauchte feine Pinselspitze einen Augenblick an das Staphylom (eine Hornhautwölbung) oder die dunklen Hornhautflecke hielt und die betupfte Stelle sogleich mit lauwarmer Milch auswusch.
Die Behandlung von Warzen mit Antimonbutter und eine Vorbehandlung mit Buchenaschenlauge und Schöllkraut entsprechen der damals etablierten schulmedizinischen Vorgehensweise, und den frischen Schöllkrautsaft tupfen wir ja auch heute noch auf die Warzen.
Antimonbutter schaut aus wie zerfließende Butter, vor allem wenn sie an der Luft allmählich braun wird. Als gefährliche und empfindliche Substanz konnte man sie wahrscheinlich nicht einfach kaufen, sondern musste sie selbst herstellen. Schon Paracelsus kannte eine komplizierte und aufwändige Art der Herstellung, die um 1800 vereinfacht wurde, indem man dann das natürliche Mineral Grauspießglanz, in Apothekerlatein „Antimonium crudum” genannt, also rohes Antimon (chemisch gesehen ein Antimonsulfid) im heißen Sandbad im Verhältnis 1:5 mit konzentrierter Salzsäure zur Reaktion brachte. Der Müllner-Peter brauchte also einerseits das nötige chemische Wissen und andrerseits einen Bezugsweg für das Ausgangsmaterial.
Der Grauspießglanz, in der Mineralogie auch Stibnit und Antimonit genannt, wurde auch in bayrischen Bergwerken abgebaut, vor allem am Südhang des Fichtelgebirges zwischen Bad Berneck und Wunsiedel, außerdem im Erzgebirge und in vielen Bergwerken Österreichs, und es waren immer fahrende Händler und Kraxentrager unterwegs, die solche heilkräftigen Materialien bis in die Bergdörfer brachten.
Müllner-Peters Schreibbuch S.5 Für den Wurm an einem Glied - Fingerwurm
Müllner-Peters Schreibbuch S.5 Für den Wurm an einem Glied - Fingerwurm
Vitrine „Fingerwurm”
Was ist der „Fingerwurm”? Kriechen da lebendige Würmer über die Finger, so wie wir es in der Vitrine scherzhaft dargestellt haben, oder was hat die Erkrankung sonst mit einem Wurm zu tun?
Heute ist der Fingerwurm unter dem Namen Panaritium oder Nagelbetteiterung besser bekannt, und auch in unserer Zeit behandelt man diese Infektion mit einer Zugsalbe, vergleichbar der Wirkung der frischen Hollerrinde und des frischen Schneckenschleims.
Man konnte sich in früheren Zeiten die Krankheiten noch nicht rational erklären, also etwa eine Eiterung als bakterielle Infektion. Man glaubte an den unheilbringenden Einfluss von Dämonen, oft auch von Hexen und deren Bösem Blick, oder von giftigen Kröten, die den Menschen anpissen. Man benannte die Krankheiten mit bildhaften Ausdrücken, so wie beispielsweise Paracelsus 1618 schrieb: „also auch im menschen der wurm, der wolff, der krebs wechst, das nit anderst als allein eim lebendigen thier zu vergleichen ist.”
Diese bildhaften Ausdrücke sind auch in unserem heutigen Sprachgebrauch noch lebendig. Wir sprechen immer noch vom Fingerwurm für ein um das Nagelbett kriechendes Geschwür, vom Wolf für den Rotlauf mit beißenden Schmerzen, und vom Krebs für ein nach allen Seiten um sich fressendes Geschwür.
Erster Teil der Ausstellung: Materia medica ad usum internum - Arzneien zum innerlichen Gebrauche (in 5 Vitrinen)
Wenn wir uns in den nächsten fünf Vitrinen mit Müllner-Peters Arzneien zum inneren Gebrauch beschäftigen, sehen wir, welche Krankheitszustände und Behandlungsformen für die Menschen der damaligen Zeit besondere Bedeutung hatten, und stoßen gleich auf den Krebs als Bild für eine Krankheit.
1. Vitrine „Mittel wider skorbutische und krebsartige Krankheiten”
Auch Skorbut konnte man nicht wissenschaftlich erklären. Heute verstehen wir Skorbut als Vitamin-C-Mangel-Krankheit, die zu mangelhafter Bindegewebsneubildung führt. Er trat bei fehlendem Verzehr von frischem Obst, Gemüse oder rohem Fleisch auf, z.B. auf langen Seefahrten oder in langen Wintern. Für die Menschen früherer Zeiten war das erste auffällige Merkmal eine Mundfäule mit Blutung und Schwarzfärbung des Zahnfleisches und üblem Mundgeruch, weil sich die fehlende Bindegewebsneubildung als allererstes im Mund und im Verdauungstrakt bemerkbar macht, wo sich die Schleimhäute ständig erneuern müssen.
Skorbut (ein Ausdruck der niederländischen Seefahrer) oder eingedeutscht „Scharbock” tritt also wie ein Krebsgeschwür zutage und wurde angemessen behandelt mit Meerrettich und Meerrettichbier, wovon der Kranke beliebig viel genießen durfte, weil ihm die Vitamin-C-Zufuhr sicher gut tat. Das Bier war damals nicht so stark wie heute und im Gegensatz zum Wasser immer sauber und genusstauglich, und Meerrettich und Bier waren auch im Winter verfügbar, wenn es sonst nichts Frisches mehr gab.
2. Vitrine Fieber: „Fiebertrank” und „Nervenfiebertee”
Auch diese Vitrine zeigt ein inneres Krankheitsbild, das die Menschen stark beschäftigte, und das sie sich damals nicht rational erklären konnten, nämlich das Fieber. Nach dem Volksglauben ist Fieber ein Dämon, der den Kranken anfällt, angeht, angreift, beutelt, schüttelt, heimsucht, verzehrt und wieder verlässt, vorüber geht, weicht; es wird auch als Dyskrasie der Säfte gedeutet. Fieber wird verstanden als Heilvorgang, der sich „austoben” müsse (schreibt Glaser in seiner Edition des Sachranger Rezeptbuchs).
Ein weltweit in heißen Ländern und auch in Südeuropa verbreitetes Fieber war das Wechselfieber, also die Malaria, deren Erreger sich mit dem bitteren Alkaloid Chinin aus der Chinarinde bekämpfen lassen. „China” hat in diesem Fall nichts mit China zu tun, sondern heißt in einer Sprache aus dem Amazonasgebiet einfach Rinde, und die Chinarinde ist quina-quina - die Rinde der Rinden. Die südamerikanische Urbevölkerung vermittelte den weißen Eindringlingen den Gebrauch der Chinarinde bei Wechselfiebern, und die Europäer setzten sie dann generell bei allen Fiebern ein, die man ja nicht wirklich differenzieren konnte. Sicher mit Erfolg, denn Bitterstoffe als stoffwechselanregende Mittel haben einen günstigen Einfluss auf alle Fieber, man denke an den sehr, sehr bitteren Bitterklee, der deshalb gemeinhin „Fieberklee” heißt.
Langer Pfeffer, eine Pfefferart mit leicht süßem und säuerlichem Beigeschmack, aber recht unhandlichen langen Fruchtzapfen, waren bei uns schon bekannt und in Küche und Medizin gebräuchlich (beispielsweise bei Hildegard von Bingen), lange bevor die runden Pfefferkörner sich bei uns durchsetzten, die man in der Gewürzmühle vermahlen kann. Langer Pfeffer hat eine appetit- und stoffwechselanregende Wirkung und, wie gesagt, hilft ja die Stoffwechselanregung bei fieberhaften Erkrankungen zur Entgiftung.
„Nervenfieber” ist heute besser bekannt unter dem Namen Typhus. Die Krankheit beginnt mit blutigen Durchfällen, aber dann brechen die Erreger (Salmonellen) durch die Darmschleimhaut in die Blutbahn und durch die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn durch und lösen zentralnervöse Störungen aus. Typhus wurde wegen der mit dem hohen Fieber einhergehenden Bewusstseinsstörungen als „Nervenfieber” bezeichnet, was auch der griechischen Grundbedeutung typhos = Dunst, Qualm (in der Badestube), Dusel, Qualm (im Hirn), geistige Umnebelung entspricht. Interessanterweise nennt man im Italienischen „tifosi”, also Typhuskranke, die Fußball-Fans, die oft im Stadion brüllen, wie wenn sie das Nervenfieber gepackt hätte.
Das Rezept mit Chinarinde, Pomeranzenschale und Zimt erinnert mit seinen Bestandteilen an die auch noch im 20. Jahrhundert sehr gebräuchliche Rezeptur „Tinctura Chinae composita”, also „Zusammengesetzte Chinatinktur” zur Stoffwechselanregung, Entgiftung und allgemeinen Kräftigung - nur der Enzian fehlt beim Müllner-Peter.
Der Müllner-Peter stellt die Mischung pharmazeutisch korrekt her, indem er erst die Chinarinde für sich allein abkocht und diesen Dekokt auf die hitzeempfindlicheren Pflanzenteile, die ätherische Öle enthalten und deshalb nicht abgekocht werden dürfen, schüttet und dann bei mäßiger Wärme alles digeriert. Ganz zuletzt nach dem Abkühlen wird der Versüßte Salzgeist zugesetzt, weil der sich sonst verflüchtigen würde.
Versüßter Salzgeist ist chemisch gesehen ein komplexes Gemisch von Reaktionsprodukten aus Chlor und Äthylalkohol mit ätherischem Geruch und süßlich-brennendem Geschmack. Der Müllner-Peter konnte ihn nach der damals gängigen Methode durch vorsichtige Destillation einer Lösung von ausgeglühtem Natriumchlorid, also Kochsalz, in reinem Weingeist und konzentrierter Schwefelsäure mit Braunstein als Katalysator herstellen, wie sein berühmter Zeitgenosse, der Arzt Samuel Hahnemann, im Apothekerlexikon beschreibt. Der Versüßte Salzgeist war schon seit dem späten Mittelalter für seine schmerz- und krampfstillende Wirkung bekannt und wurde im 19. Jahrhundert als erstes Narkotikum verwendet, und es ist plausibel, dass er den Wahnsinn der Nervenfieberkranken dämpfen konnte.
3. Vitrine Blutreinigung: „Geblütreinigende Species” und „Blutreinigungstropfen”
Neben der Bekämpfung aller Arten von Fieber war die „Blutreinigung” ein großes Thema der inneren Medizin. Als Vorläufer der Antibiotika wurden früher nämlich schwermetallhaltige Präparate mit Arsen, Antimon, Quecksilber und Blei sowohl innerlich als auch äußerlich eingesetzt und führten zu oft schweren Vergiftungen. Besonders berüchtigt ist die Syphilisbehandlung, bei der Ärzte, später auch Bader oder die sprichwörtlichen „Quacksalber”, den Körper des Erkrankten großflächig mit der Grauen Quecksilbersalbe und anderen Quecksilberpräparaten bestrichen, was leider meistens zum Ausfallen aller Haare und Zähne und zu rapidem körperlichen Verfall führte.
Für solche Patienten war eine Blutreinigung bitter nötig, um die Schwermetalle über alle Ausscheidungsorgane wieder auszuleiten. Heute ist der Begriff missverständlich geworden und meint meistens die Entfernung nicht näher definierter „Schlacken” oder Metaboliten aus dem Blut, auf jeden Fall aber immer noch eine sinnvolle Entgiftung und Stoffwechselverbesserung. Blutreinigungstees enthalten immer schweiß- und harntreibende, leberanregende und abführende Bestandteile.
Die südamerikanischen Eingeborenen kannten eine Syphilis-Therapie mit verschiedenen Hölzern, Wurzeln und Rinden, kombiniert mit Schwitzbädern und Fastenkuren. Die größte Rolle spielte dabei das Guajakholz, das uns auch als „Lignum sanctum”, also „Heiliges Holz”, oder als Franzosenholz bekannt ist, mit Anspielung auf die Syphilis als „Franzosenkrankheit”.
Während in Südamerika das Guajakholz direkt gegen die Syphilis eingesetzt wurde, diente es in Europa mehr zur Nachbehandlung des übermäßigen Quecksilbergebrauchs in der Syphilistherapie. Guajak wurde mit anderen überwiegend holzigen Bestandteilen kombiniert und fand als Species Lignorum (Hölzertee) und Essentia oder Tinctura Lignorum (Hölzeressenz oder -tinktur) Eingang in alle Arzneibücher des 19. und 20. Jahrhunderts. Enthalten waren neben Guajakholz v.a. Sassafras, Rosenholz, Sarsaparille, Sandel- und Wacholderholz.
Interessant und originell ist beim Müllner-Peter der Zusatz von Meerträubel oder Ephedrakraut, in der TCM als Ma Huang bekannt, zum Blutreinigungstee. Erst im 20. Jahrhundert wurde es bei uns als kreislaufwirksames Teekraut und als Stammpflanze des Aufputschmittels Ephedrin populär und findet sich jetzt sowohl im Europäischen als auch im Chinesischen Arzneibuch. Die kreislaufanregende Wirkung macht die Verwendung in stoffwechselanregenden und harntreibenden Teemischungen plausibel und scheint Müllner-Peters persönliche Ergänzung des Hölzertees zu sein.
Die Blutreinigungstropfen dagegen enthalten als wesentlichen Bestandteil die Spießglanztinktur, deren Herstellungsvorschrift in der Pharmacopoea Austriaco-Provincialis steht. Der Müllner-Peter besaß ja dieses lateinisch geschriebene amtliche Österreichische Arzneibuch. Er verfügte offenbar auch über das Mineral Grauspießglanz, wie wir bei der Besprechung der Antimonbutter erfahren haben, und war sicher in der Lage, die Substanz in einem Tiegel mit Pottasche auszuglühen, zu pulverisieren und dann in Weingeist zu lösen. Offenbar wusste er auch, dass die Spießglanztinktur kräftiger wird, wenn man, wie im damaligen Preußischen Arzneibuch beschrieben, einen Teil des Alkohols abdestilliert. Die Spießglanztinktur wurde wegen ihrer brechenerregenden Wirkung in Blutreinigungskuren eingesetzt. Aber wir würden das heute nicht mehr tun, ein Gift mit einem anderen Gift auszutreiben.
Fahrende Händler und Kraxentrager, oft aus dem Zillertal in Tirol, brachten nicht nur die heilkräftigen Mineralien aus dem alpinen Bergbau, sondern auch tropische Hölzer, Wurzeln und Rinden aus Übersee über die Alpen. Ein wichtiger Handelsweg führte durch das Inntal und über den Samerberg, und so war Sachrang gar nicht so abgelegen von der Welt, wie man vielleicht meinen möchte.
4. Vitrine Laxier (Abführtrank)
Wie ich gerade die Seite 4 von Müllner-Peters Schreibbuch aufgeschlagen vor mir liegen hatte und mich mit der Rezeptur der Blutreinigungstropfen mit Spießglanztinktur beschäftigte, bekam ich die Mail einer guten Apothekenkundin, die fragte, ob ich ihr zum „Lebensverlängernden Elixier von St. Germain” verhelfen könnte. Dabei handle es sich um die ausgewogene Mischung von abführenden Pflanzen, die den Körper erhitzen, und abführenden Salzen, die den Körper kühlen. Mit diesem Hinweis ging mir ein Licht auf und ich verstand plötzlich die eigenartige Rezeptur „Laxier” in der unteren Hälfte der Seite 4, die eben abführende Pflanzen mit abführenden Salzen kombiniert. Ich fragte meine Kundin zurück, ob sie mir denn über die Schulter schaue und sehe, dass ich ihr Rezept gerade offen vor mir liegen habe, und bot ihr an, es gleich für sie zu mischen, und zwar nach der amtlichen Rezeptur, wie sie noch im 20. Jahrhundert im Deutschen und
Österreichischen Arzneibuch stand, also ohne den giftigen Salpeter, der in Müllner-Peters Fassung vorkommt und dessen damals weitverbreiteten unkritischen Gebrauch schon sein Zeitgenosse Hahnemann im Apothekerlexikon kritisierte.
Auch wenn man eigentlich auf darmreizende anthrachinonhaltige Abführdrogen verzichten kann, ist die Idee doch beeindruckend, dass man deren erhitzende Wirkung durch ein kühlendes Salz ins Gleichgewicht bringt. Diese Idee geht auf den Grafen von St. Germain zurück, einen schillernden Universalgelehrten und Alchemisten des späten 18. Jahrhunderts, der als Heiler durch die europäischen Fürstenhäuser zog, und dessen Rezeptur der „Species ad longam vitam”, also der „Lebensverlängernden Teemischung” zu Müllner-Peters Zeit bekannt wurde und im 19. Jahrhundert überall sehr populär war.
In der heutigen Zeit, wo man alle Abführdrogen, also Rhabarber, Sennes, Faulbaum und Aloe, kritischer betrachtet und vom längerfristigen Gebrauch abrät, stellt sich die Frage, weshalb man einen Abführtee als „lebensverlängernd” bezeichnen kann. Unbestritten ist, dass Gesundheit im Darm beginnt und dass der Körper krank wird, wenn er nicht richtig verdaut. Ein gesunder Darm ist die Voraussetzung für einen funktionierenden Stoffwechsel und ein intaktes Immunsystem. Vorbeuge und Behandlung von Stoffwechselstörungen wirken lebensverlängernd. Viele gesundheitsbewusste Menschen machen regelmäßig Fastenkuren, vor allem im Frühling, und nehmen dabei harmloses Glauber- oder Bittersalz zur Darmreinigung. Ebenso sorgt ein Schwedenbitter für die Stoffwechselverbesserung und heißt in der alten Literatur oft „Elixier ad longam vitam”.
5. Vitrine Abführmittel fürs Vieh
Blähungen und Verstopfung waren nicht nur beim Menschen, sondern auch beim Vieh gefürchtete und ohne Behandlung oft tödlich verlaufende Erkrankungen. Die Vitrine zeigt eine Zusammenstellung damals gebräuchlicher Abführmittel für Pferde und Rinder.
Interessanterweise kommen in der Rezeptur „Wenn ein Pferd nicht misten [also: Kot absetzen] kann” die extrem giftigen Sadebaumspitzen vor. Es war also dem Müllner-Peter bekannt, dass Sadebaum zwar für Menschen und fast alle Haustiere tödlich giftig sein kann, aber beim Pferd einfach nur kräftig abführend wirkt. Schön, dass das Pferdchen seinen Rotwein dazu bekommt und bis zum Eintreten der Wirkung herumgeführt wird.
Ein Sadebaum, auch Stink- oder Gift-Wacholder genannt, steht übrigens im Garten des Müllner-Peter-Museums und hat im Unterschied zum eigentlichen Wacholder weiche Nadeln und einen charakteristischen unangenehmen Geruch. Früher gehörte er in die Klostergärten, weil ja die Klosterschwestern für die Abtreibung zuständig waren. Eine Abtreibung mit der Abkochung von Sadebaumspitzen war immer eine schmale Gratwanderung zwischen dem Tod des ungeborenen Kindes und dem Tod von Mutter und Kind. Müllner-Peters umgangssprachliche Bezeichnung „Sevenbaum” (auch Säbenbaum und Sevistrauch genannt) ist übrigens sprachlich korrekter als das hochdeutsche Wort „Sadebaum”, weil sich der Begriff vom altitalienischen Volksstamm der Sabiner ableitet, bei denen der Baum in heißen Hochlagen der Apenninen wild wuchs und von den Sabinerinnen schon vor Jahrtausenden für Abtreibungszwecke benutzt wurde.
Die „Venedische Seife” ist uns auch heute noch als Grüne Olivenölseife oder Marseiller Seife bekannt und wird immer noch zu Recht in abführenden Klistieren verwendet. Zu Müllner-Peters Zeiten war sie auch innerlich bei Vergiftungen und Verstopfungen gebräuchlich. Im Gegensatz zu dieser edlen medizinischen Seife wurde die gemeine Hausseife von den Seifensiedern aus Pottaschenlauge und Talg, also minderwertigem harten Tierfett, gekocht.
Interessant ist für mich noch, dass der Müllner-Peter schreibt: „Für ein Zuchtkalb, welches immer voll [also: chronisch verstopft] wurde, hab ich gegeben ... ” - er hat also die Rezepte wirklich selbst benutzt, und er hat dem empfindlichen kleinen Zuchtkalb nicht Sennesblätter, sondern Sennesschoten gegeben, die milder wirken, mit weniger Bauchweh, und deshalb für Kinder bevorzugt wurden.
Wir haben nun gesehen, welche innerlichen Krankheiten die Bevölkerung vor 200 Jahren und einen Dorfheiler besonders beschäftigten, nämlich skorbutische und krebsartige Erkrankungen, das Fieber, die Schwermetallvergiftung und die Verstopfung bei Mensch und Tier. Im zweiten Teil der Ausstellung kommen wir zu den äußerlichen Arzneien, also den Salben, Wundpudern, Wässern, Einreibungen und Bädern.
Zweiter Teil der Ausstellung: Materia medica ad usum externum - Glasschrank mit Arzneien zum äußerlichen Gebrauche (in 12 Fächern)
All diese Arzneien, die im Glasschrank zu sehen sind, entsprechen dem damaligen Stand der Wissenschaft, der Schulmedizin auf der Höhe ihrer Zeit und den damals gültigen amtlichen Arzneibüchern Österreichs und Bayerns.
Schwere Entzündungen und Infektionen wurden mit Zubereitungen aus giftigen Schwermetallen (Arsen, Antimon, Blei, Quecksilber und Kupfer) noch bis weit ins 20. Jahrhundert behandelt, bevor es ab der Jahrhundertmitte allmählich moderne Antibiotika und Antiseptika gab. Der krebstötende Balsam, das Universal-Wundpuder, das Bleipflaster und die daraus hergestellte Bleipflastersalbe, das desinfizierende Bleiwasser und die austrocknenden und pilztötenden Kupferzubereitungen sind in ihren Wirkungen plausibel, wenngleich heute harmlosere und gleichzeitig wirksamere Alternativen zur Verfügung stehen.
1. Fach: Zubereitungen mit Arsen, Antimon und Quecksilber: „Krebstötender Balsam” und „Universal-Heilpulver”
Im „Krebstötenden Balsam” kommt Auripigment zum Einsatz, also das natürliche Mineral Arsenblende oder Schwefelarsen, das an verschiedenen Stellen in Mitteleuropa abgebaut wurde, beispielsweise im Erzgebirge, im Schwarzwald und in Kärnten. Es wurde trotz seiner Giftigkeit als Pigment in der Malerei verwendet, um Gold zu imitieren. Außerdem als Ätzmittel bei Krebs und als sogenanntes Rusma oder „Depilatorium turcicum” zur Enthaarung vor dem Betreten des türkischen Bades. Der Einsatz derart hochgiftiger Substanzen ist nicht nur für den Behandelten, sondern auch für den Behandler gefährlich, worauf zu Müllner-Peters Zeit Hahnemann in seinem Apothekerlexikon hinwies. Das trifft auf diese Rezeptur in besonderem Maße zu wegen des 24-stündigen offenen Erhitzens. Andererseits waren Arsen-Verbindungen bis weit ins 20. Jahrhundert auch in der Schulmedizin als Mittel gegen Infektionskrankheiten unentbehrlich, bevor es die heutigen Antibiotika gab. Zum Beispiel war das ebenfalls arsenhaltige Präparat Salvarsan als Antibiotikum gegen die Syphilis noch bis 1972 in Gebrauch und mein Pharmazieprofessor, bei dem ich damals in Erlangen studierte, forschte noch in den 1970er Jahren an arsenhaltigen Arzneimitteln.
Genauso giftig ist nach heutigem Verständnis Müllner-Peters Universal-Wundpuder. In einer Verreibung mit Küchenzucker als Arzneiträger enthält es als Hauptbestandteil den Mercurius sublimatus corrosivus der Ph.Austr.1795, also Quecksilber-Sublimat oder Quecksilber-(II)-chlorid, eine farblose und wasserlösliche Verbindung, die beim Erhitzen sublimiert und die schon den Alchemisten gut bekannt war. In einer Zeit lang vor Einführung der moderne Antibiotika war Quecksilber unentbehrlich innerlich bei der Volksseuche Syphilis und äußerlich als Antiseptikum und Ätzmittel bei Geschwüren und zur Wunddesinfektion. Beispielsweise hatten die deutschen Soldaten früher Verbandpäckchen mit Quecksilbergaze dabei. Doch auch im ganzen 20. Jahrhundert gab es noch Quecksilberverbindungen zur Wunddesinfektion und sogar
zum Lutschen bei Halsentzündung. Die Handelsnamen Merfen und Merfen Orange sind sicher noch Vielen bekannt.
Demgegenüber ist das Berliner Blau, ein tiefblaues Eisensalz der Blausäure, vergleichsweise harmlos. Es handelt sich dabei um das von Johann Jacob Diesbach in Berlin um 1706 erste rein synthetisch hergestellte lichtechte Farbpigment, das heute noch als unverzichtbares Antidot bei Vergiftungen mit radioaktiven Thallium- und Caesium-Vergiftungen anerkannt ist. Nach Vorschrift des alten Bayerischen Arzneibuchs von 1822 erfolgte die Herstellung durch Ausglühen von Tierkohle (Blutkohle, aus eingekochtem Rinderblut) und Pottasche, Neutralisieren mit Schwefelsäure und Anzucht der Kristalle, später einfacher aus Eisen(III)- und Gelbem Blutlaugensalz.
Der Müllner-Peter schreibt: „Berliner Blau oder etwas Mohrer” - was soll das bedeuten? Der Mohrer, oder mit altgriechischem Fachbegriff Aethiops bedeutet „Schwarzgesicht” und bezeichnete früher in Alchemie, Mineralogie und Heilkunde verschiedene sehr dunkle Metalloxide oder -sulfide, und speziell in der Heilkunde meistens den Spießglanzmohr Aethiops antimonialis, hergestellt nach Ph.Austr.1795 durch mindestens drei Stunden langes Verreiben von rohem Spießglanz mit flüssigem Quecksilber in einem Stein- oder Glasmörser und nach Ph.Bavar. hergestellt durch inniges Vermengen von Spießglanz und schwarzem Quecksilbersulfid. Der Spießglanz oder Grauspießglanz als antimonhaltiges Mineral und Ausgangssubstanz zur Herstellung von Arzneimitteln ist uns ja schon bei zwei anderen Rezepturen begegnet. Die Anwendung von Aethiops antimonialis bei eitrigen Entzündungen und Geschwüren, z.B. bei Colitis ulcerosa, ist in entsprechender Verdünnung auch heute noch in der Homöopathie gebräuchlich.
2. Fach: die Bleipflastersalbe - eine „Salbe, welche gut heile”
Zunächst müssen wir den Begriff „Pflaster” klären. Mit Pflaster, vom altgriechischen Émplastron oder dem lateinischen Emplastrum abgeleitet, wurden generell alle bestrichenen Stückchen Leinwand zum Ankleben als Heilmittel bezeichnet, lange bevor die Bedeutung auf das heute gebräuchliche Heftpflaster überging. Pflaster sind künstliche Zusammensetzungen von fester, zäher und klebriger Konsistenz zu äußerlichem Gebrauche bestimmt, wie Hahnemann im Apothekerlexikon schreibt. Derartige plastische Massen konnten aus natürlichem Wachs, Harz, Öl, Terpentin, Butter usw. bestehen oder aus dem synthetisch hergestellten Bleipflaster und, meist mit eingearbeiteten Arzneistoffen, zur Therapie von Beinbrüchen, Verrenkungen, Wunden, Geschwüren, etc. verwendet werden. In der Körperwärme wurden diese Wundauflagen zu einem richtigen Wundpflaster.
Wie entsteht nun das Bleipflaster oder in Apothekersprache Emplastrum diachýlon?
Bleipflaster ist die Umsetzung eines Bleioxids (vorzugsweise Bleiglätte, aber auch Mennige) mit Olivenöl bis zur Konsistenz eines Pflasters. Hahnemann beschreibt die Herstellung ausführlich und genau im Apothekerlexikon:
„Seine Bereitung erfordert Behutsamkeit. Man wählt einen kupfernen Kessel mit rund ausgetriebenem Boden (damit der Bleikalk wohl aufgerührt werden könne), schütte zwei Theile Baumöl mit Einem Theile recht fein geriebener Bleiglätte zugleich hinein, giebt ein Feuer, wodurch das Oel bald ins Aufwallen geräth, und rührt mit einem hölzernen Spatel den Bleikalk unaufhörlich vom Boden auf vom Anfange bis zu Ende der Bereitung, damit er immer schwebend zwischen dem Oele erhalten und so aufgelöset werde. Von Zeit zu Zeit gießt man etwas weniges, etwa eine Unze, Wasser hinzu, wodurch das Braunwerden des Pflasters verhütet und die Hitze gemäßigt wird. Während der Arbeit entstehen beim Aufrühren zum Zeichen der Auflösung häufige Luftblasen, das Baumöl verliert seinen Geruch, und die Bleikalke ihre hohe Farbe. Ist nun nichts mehr von dem Bleikalke in dem Oele zu erkennen, ist die zähe Flüssigkeit eine gleichförmige Masse geworden, von der etwas in kaltes Wasser oder auf einen kalten Stein getröpfelt, sich wie ein weiches Wachs ziehn und rollen läßt, ohne an den Fingern zu kleben, so ist das Pflaster fertig gekocht.
Gewürzhafte Dinge, die ätherischen Oele und den Kampher (in Weingeist aufgelöst) setzt man nicht eher zu, als bis die vom Feuer genommene Pflastermasse schon einigermaßen verkühlt ist.
Bleipflaster dienen den Verband auf Wunden und Geschwüren fest zu halten, den Zugang der freien Luft zu verwehren, und eine kühlende und adstringirende Wirkung auf der Haut auszuüben. Auf andere Weise gebraucht schaden sie häufig.” Soweit Hahnemann.
Bei der Herstellung löst sich das Bleioxid also nicht einfach im Olivenöl, sondern es tritt in der Hitze eine Verseifung ein, wobei Bleisalze der Fettsäuen entstehen und sich dadurch die Konsistenz und Beschaffenheit der Zubereitung ändert. Es wird fest und klebrig. Die rote Farbe der Mennige verschwindet bei der Verseifung.
Bleipflaster war in der europäischen Medizin seit dem griechisch-römischen Altertum gebräuchlich und verschwand erst um das Jahr 2000 aus der Therapie. Das sehr stark klebende Bleipflaster konnte übrigens mit einer beliebigen Salbengrundlage zur weniger klebrigen Bleipflastersalbe Unguentum diachýlon verdünnt werden, die wir bis etwa zum Jahr 2000 noch gern als die bestwirksame Schrundensalbe verkauften, bevor sie uns verboten wurde.
3. Fach: Das „Mineralwasser für jeden Haushalt” (Bleiwasser)
Bei Mineralwasser möchte man zunächst an ein natürliches Mineralwasser oder Selterswasser denken, in Wirklichkeit geht es aber um ein Bleiwasser zur Wunddesinfektion. Dieses „Goulard'sche Wasser” geht auf den französischen Chirurgen Thomas Goulard (1697-1784) zurück und ist ein effektives Adstringens zur äußeren Anwendung als Wund- und Verbandwasser. Es war im 19.und 20. Jahrhundert in fast allen Arzneibüchern offizinell, sein Gebrauch wurde erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts allmählich durch eine quecksilberhaltige Wunddesinfektion namens Merfen Orange oder Mercuchrom ersetzt, die dem Blei an Giftigkeit nicht nachsteht und 2003 vom Markt genommen wurde.
Der Müllner-Peter hat die Vorschrift zur Herstellung des „Mineralwassers für jede Haushaltung” nicht aus der Österreichischen Provinzial-Pharmakopöe übernommen, sondern, wie auch einige andere seiner Rezepte, buchstabengenau aus einem damals offenbar populären Ratgeber für Landwirte abgeschrieben, nämlich der 1. noch fehlerhaften Auflage von Christian Baumann, Die vermehrte Rinderzucht, Augsburg 1783. Um das Bleiwasser zu erhalten, muss man erst ein Konzentrat herstellen, indem man ein Bleioxid in Weinessig kocht und mehrfach filtriert. Beim hier verwendeten Bleioxid handelt es sich um eine gelb-rötlich angelaufene Bleiglätte, Lithargyrum Auri oder Goldglätte genannt, die sich aber in ihren Eigenschaften nicht von gewöhnlicher Bleiglätte oder Silberglätte unterscheidet. Man erhält also ein Konzentrat, den Bleiessig, in der Fachsprache als Extractum oder Balsamum saturninum bezeichnet. Der Name rührt daher, dass in der Alchemie das Blei in Bezug zum Planeten Saturn gesetzt und eine Bleiarznei als Saturnium bezeichnet wurde. Es handelt sich um eine konzentrierte Bleisubacetat-Lösung, aus der man sich bei Bedarf durch Verdünnen im Verhältnis 1:50 das Bleiwasser zur Wunddesinfektion frisch bereitet.
In Baumanns Original geht der Text folgendermaßen weiter:
„Davon [also vom Extractum Saturni] nehme das gedachte Mineralwasser zu machen, zur Maas Wasser einen Löffel voll sammt zwey Löffel voll Brandwein, andere thun ein halb Loth Kampfer, 1 Loth Bleyzucker mit 3 Loth Brandwein fein abgerieben dazu, schüttlen alles unter einander, und heben es am kühlen Orte auf. Hat man eine Wunde ec. so setzt man eine Theeschale voll auf den Ofen, und wäscht mit eingedunkten wieder ausgedrückten Lumpen die Wunde aus, legt damit befeuchtete weiße Semelbrosel über. Die Herren Barbierer und Viehärzte können alle Schäden damit heilen. Krebsschäden, geschwollene Hälse, Beinbrüche ec. Mit dem Sattel gedrückte, geschlagene Pferde oder Rinder sind damit gut herzustellen... Endlich der [Boden-]Satz davon getrocknet ist, ist als Pulver über alle Schäden und Wunden zu streuen.”
4. Fach Kupferhaltige Arzneien: „Ägyptische Salbe” und „Trocknendes Wasser”
Kupfersalze wirken stark austrocknend, adstringierend und ätzend auf Eiterungen, wildes Fleisch und faulende Fleischwunden, die dazu neigen brandig zu werden, also zu nekrotisieren. Benutzt wurden der Grünspan, ein basisches Kupferacetat, das sich auf alten Kupferdächern findet und diesen ihre typische grüne Farbe gibt, und das Kupfervitriol oder Kupfersulfat, ein tiefblaues Mineral aus dem Bergbau.
Die Ägyptische Salbe ist eine ganz einfache Zubereitung aus Grünspan und Honig, der ja ebenfalls austrocknend auf Wunden wirkt, wie wir auch in unserer Zeit vom Medizinischen Honig wissen. Die Rezeptur ist also sehr plausibel. Der Name rührt daher, dass die intensiv blaugrüne Farbe an die Pharaonengräber im alten Ägypten denken lässt. Leider wird Müllner-Peters Zubereitung schon in wenigen Wochen unansehnlich braun und müsste deshalb immer frisch bereitet werden. Die offizinelle Rezeptur in der Pharmacopoea Austriaco-Provincialis lässt mit einer kleinen Menge Weinessig ansäuern, was das Braunwerden verzögern oder verhindern sollte.
Eine ebenso einfache und plausible Rezeptur ist das „Trocknende Wasser”, das durch Auflösen von „Blauem Vitriol” in Wasser entsteht. „Vitriol” ist der alte Name für ein Salz der Schwefelsäure („Vitriolsäure”) und bezeichnet chemisch gesehen das Kupfersulfat.
5. Fach Schwarze Pechsalben (Zugsalben): Wagenschmier und Basiliconsalbe
Zunächst müssen wir den Begriff „Pech” klären. Pech ist eine zähe Masse, die pickt oder klebt. „Pech” und „picken” leiten sich vom lateinischen „pix” für Pech oder Teer ab. Es gibt schwarze und gelbe Pechsalben, und wir beginnen mit den schwarzen.
Pech oder Teer kann verschiedenen Ursprung haben, wir kennen Teer oder Asphalt aus der Erdölproduktion, Steinkohlenteer aus der Koksproduktion, der medizinisch bei Psoriasis und chronischen Ekzemen eingesetzt wird, und das Tiroler Steinöl vom Achensee aus Ölschiefer, das Ichthyol der heute üblichen schwarzen Zugsalbe.
Ausgangssubstanz für die unsere hier gemeinten schwarzen Pechsalben ist der aber der Holzteer, auch Pechöl genannt. Er entsteht im Köhlermeiler oder in einem luftdicht verschlossenen Teer-Ofen beim Verkohlen von Fichtenholz und sammelt sich in einer Art „absteigender Destillation” in einer großen Steinpfanne am Boden des Meilers, rinnt aus dem Meiler heraus und wird aufgefangen. Die dicklich-schmierige Masse wird erhitzt und so von flüchtigen Anteilen befreit; es bleibt ein leichter zu handhabender Rückstand, das Schwarzpech oder Hartpech: harzig, schwarzglänzend, in der Kälte spröde, in der Wärme zwischen den Fingern dehnbar. In den alten Arzneibüchern, z.B. in der Pharmacopoea Bavarica findet es sich unter dem Namen „Pix navalis”, also Schiffspech, weil es nicht nur zum Abdichten der Schiffsplanken, sondern in der Heilkunde zum Anfertigen von Salben und Pflastern diente. Durch den Gehalt an Phenolen wirkt das Pech sehr stark antiseptisch bei verschiedenen Arten von Hautkrankheiten bei Mensch und Tier.
Das unbehandelte Pechöl oder das nachgereinigte Schiffspech lassen sich mit Salbengrundlagen aus Fetten und Wachsen weiterverarbeiten. Aus rohem Pechöl und Schweineschmalz machte man die Wagenschmier, die nicht nur als Schmiermittel für die Wagenachsen diente, sondern in der Volksmedizin als Universal-Heilsalbe genommen wurde. Wagenschmier wurde auch einfach in den Stall gestellt, gegen die "Kröte", die das Vieh anpisst und krank macht, nach dem Volksglauben als Schutzmagie, rational betrachtet vielleicht auch um über die abdunstenden ätherischen Öle zu wirken.
Eine edlere Form der schwarzen Pechsalben ist die Basiliconsalbe, eine Zugsalbe oder Ziehsalbe mit Ölen und Wachsen zum Herausziehen von kleineren Splittern und des Eiters aus Furunkeln und Abszessen sowie gegen chronisch-entzündliche Hauterkrankungen bei Mensch und Tier. Die Salbe enthält natürlich kein
Basilikum, sondern spielt mit ihrem Namen auf die „königliche” Wirkung an (altgriechisch basilikón = das Königliche) und wird auch Königssalbe genannt. Die Herstellung ist sachgemäß und entspricht der heutigen Vorgehensweise: man schmilzt erst die festen Bestandteile gemeinsam in vorsichtiger Hitze, am besten im Wasserbad, rührt dann das auf dieselbe Temperatur erwärmte Öl langsam zu und rührt bis zum Erkalten weiter.
6. Fach Gelbe Pechsalben (Harzsalben): Digestivsalbe und Hornsalbe
Pech, Teer, Harz und Terpentin werden oft verwechselt oder sogar synonym gebraucht. Alles was „pickt”, also klebrig ist, heißt gemeinhin eben Pix oder Pech, ohne Rücksicht auf die Farbe. So wird die heute in den Alpenländern wieder populäre volksmedizinische Harzsalbe gern Pechsalbe genannt, obwohl sie hell ist.
Harz ist bekanntlich der aromatisch riechende klebrige Ausfluss aus dem Stamm von Nadelbäumen. Es wirkt äußerlich hautreizend, durchblutungsfördernd und antiseptisch und ist deshalb sinnvoll in Pflastern und Salben zur Förderung der Wundheilung. Edler und milder als das Harz von Kiefern und Fichten ist das Lärchenharz, das in der Fachsprache als Lärchenterpentin bezeichnet wird. Es ist weniger aggressiv und weniger zäh als die anderen Harze und wird deshalb sowohl von der Volks- als auch der Schulmedizin zur Salbenherstellung bevorzugt. So steht im Arzneibuch für das Königreich Bayern von 1856: „Von den Terpentinsorten des Handels verdient der sogenannte venetianische oder Lärchenbaum-Terpentin, Terebinthina veneta seu laricina, den Vorzug; derselbe ist klar, durchsichtig oder auch nur durchscheinend, blassgelblich, sehr zähe und klebrig, von balsamischem Geruche und schärflich-bitterem Geschmacke. in Weingeist vollständig löslich.” Lärchenterpentin sollte deshalb vor dem Einrühren in etwas Alkohol gelöst werden.
Zur Begriffsklärung: in der Fachsprache bezeichnet man als „Terpentin” das reine natürliche Lärchenharz, in der Umgangssprache dagegen meint man mit „Terpentin” das Terpentinöl, welches bei der Destillation von Baumharzen als Flüssigkeit übergeht. Bei dieser Destillation bleibt das Geigenharz oder Kolophonium als fester Rückstand zurück. Beide Fraktionen der Destillation behalten den angenehmen aromatischen Duft von Nadelbäumen, aber verlieren weitgehend die Klebrigkeit des Harzes. Terpentinöl ist auch heute noch im Europäischen Arzneibuch aufgeführt.
Der Müllner-Peter führt in seinem Schreibbuch zwei Harzsalben auf.
Erstens die Digestivsalbe, und er schreibt dazu: „Digestivsalbe für weiche Geschwäre, und solche Geschwäre welche an Knorpeln und Sehnen sind: nimm 2 Loth Terpentinöl, 6 Eidotter, 1 Pfund Terpentin - und rühr es zur Salbe.” Er nützt also die emulgierende Wirkung von Eidotter wie der Koch bei der Herstellung von Mayonnaise. Eidotter ist reich an Lezithin mit emulgierender Wirkung, was das Einarbeiten eines Harzes und das homogene Vermischen und Verbinden von Fett und Wasser ermöglicht.
In den alten Arzneibüchern heißen die Digestivsalben auch Terpentinsalben und sind stets balsamisch-harzige Verbandsalben. Die „Digestion”, wörtlich die „Verdauung”, bezieht sich auf den Eiterprozess und zielt darauf ab, das Eitern zu fördern, um die Wunde zu reinigen und die Granulation, also die Bildung von jungem Bindegewebe anzuregen.
Zweitens die Hornsalbe, „da gibt der Name schon den Gebrauch: Nimm Baumöl, gelbes Wachs und Schweinefett, von jedem gleichviel, schmelze selbe bei gelindem Kohlenfeuer, rühre dann Terpentin und Honig gleichfalls so viel darunter und lasse es kalt werden.”
Mit „Horn” ist die Hornsubstanz der Hufe gemeint. Die Salbe soll Hornklüfte heilen, also Horndefekte durch Verletzungen oder nach Eiterdurchbrüchen. Wir haben uns überlegt, Müllner-Peters Hornsalbe in der Apotheke nachzubauen und als Nagelbalsam für den Menschen auszuprobieren. Bei rissigen Finger- und
Zehennägel geht es ja auch um Schäden an der Hornsubstanz. Wir sind uns nur noch nicht klar darüber, ob wir Schweineschmalz oder lieber eine vegetarische Salbengrundlage einsetzen sollen ;)
7. Fach Arznei- und Krämergewichte
In den Rezepturen der Pechsalben tauchen die Begriffe „Lot” und „Pfund” auf; deshalb will ich hier auf die alten Gewichtsmaße eingehen.
Vor der Einführung des metrischen Systems im 19. Jahrhundert gab es nicht nur in den 36 verschiedenen deutschen Teilstaaten unterschiedliche Maßsysteme, sondern es unterschieden sich darüber hinaus auch die medizinischen von den bürgerlichen Gewichtssystemen. Apothekerpfund und Handelspfund wichen sowohl hinsichtlich Masse als auch Unterteilung erheblich auseinander!
In den deutschen Ländern und darüber hinaus verbreitet war im vormetrischen System das Nürnberger Medizinalpfund mit einer Masse von 357,6639g. Es war untereilt in 12 Unzen zu je 8 Drachmen oder Quentchen (zu je drei Skrupel), und die Masse basierte auf dem Gewicht eines weißen Pfefferkornes (Gran, also das „Korn”). Dieses Gewichtssystem war sehr kompliziert und wurde in Bayern durch allerhöchste königliche Verordnung von 1811 abgeschafft und durch das metrische System ersetzt.
Bei der sehr präzisen hochgiftigen Rezeptur des „Krebstötenden Balsams” verwendet der Müllner-Peter das Apothekergewicht, sonst aber fast immer das handlichere Krämergewicht. Das bürgerliche Pfund hatte von Ort zu Ort unterschiedliche Werte von ca. 480-560g und wurde erst bei der Reichsgründung von 1871 überall auf 500g festgelegt. Für das sehr populäre bürgerliche Lot (früher meistens Loth geschrieben) galt als ungenaue, aber anschauliche Faustregel, dass es etwa einem „Löffel voll” entspricht. Später wurde das Lot von seinem ursprünglichen Wert von 15-17,5g auf ein „metrisches Lot” zu 10g abgerundet und lebt v.a. in Österreich als „Deka” bis heute weiter.
8. Fach: Heilendes Bad
aus Pfefferminze, Wilder Malve, Eisenkraut und Seifenkraut zu gleichen Teilen gemischt, dann „gesotten und gebadet”.
Eine sinnvolle Kombination, Pfefferminze durch ihr ätherisches Öl entzündungswidrig, Malve durch ihren Schleim beruhigend für gereizte Haut und Schleimhaut, Eisenkraut ein traditionelles Mittel zur Wundbehandlung (gerb- und bitterstoffreich, demzufolge adstringierend, zusammenziehend) und nicht zuletzt Seifenkraut: der Absud schäumt und reinigt wie Seife aufgrund des Saponingehalts.
9. Fach Pestessig
„Gelbe und andere dergleichen Fieber” meinen wohl nicht nur die Tropenkrankheit Gelbfieber im engeren Sinn, sondern fassen verschiedene ansteckende fiebrige Infektionskrankheiten zusammen, deren Auslöser man damals noch nicht kannte und die man generell als „Pest” bezeichnete.
Aromatische Essige waren in Pestzeiten schon lange als Mittel gegen Ansteckung gebräuchlich, auch wenn die Rezeptur hier als eine Neuentdeckung französischer Zeitungen präsentiert wird, und finden sich in den älteren Arzneibüchern bis ins 19. und 20. Jahrhundert. Insbesondere die Weinraute galt zu allen Zeiten als Gegengift gegen Vergiftungen und wurde in den Schriften von Hippokrates und Dioskurides bis hin zu Paracelsus ausführlich beschrieben. Im Pestessig wird sie mit verschiedenen stark aromatischen Pflanzen
aus der Familie der Lippenblütler kombiniert, und ein Zusatz des stark aromatischen Kampfers verstärkt noch die Wirkung.
Der Müllner-Peter schreibt richtig: „Wird mit dieser Flüssigkeit das Krankenzimmer besprengt, so belebt das den Kranken sehr und bewahrt den Anwesenden und Wärter vor Ansteckung.”
10. Fach Seifenbranntwein
Die Herstellung erfolgte auch im 20. Jahrhundert genauso aus Seife und Ethanol, zur Anwendung als Einreibung bei Geschwülsten, Verrenkungen und Rheuma.
11. Fach Kampferöl
Kampfer, oft auch Kampher, Campher oder Gaffer geschrieben, findet sich in allen Arzneibücher bis zur Gegenwart. Er ist ein durch Wasserdampfdestillation aus dem Holz des tropischen Kampferbaums gewonnenes aromatisches Pulver aus wachsartig weichen Kristallen, sozusagen ein festes ätherisches Öl, das beim Erwärmen schmilzt. Kampfer wirkt hautreizend, durchblutungsfördernd, antibakteriell und leicht anästhesierend, also schmerzbetäubend.
Kampferöl ist eine Auflösung des Kampfers in Olivenöl zum Einreiben bei Steifigkeit in den Gliedern und dergleichen, wie der Müllner-Peter richtig schreibt. Es ist immer noch offizinell, jedoch als reines Kampferöl ohne Zusatz von Terpentinöl. Vielleicht wollte der Müllner-Peter mit dem einheimischen Terpentinöl einen Teil des aus den Tropen importierten Kampfers einsparen.
Zur Verarbeitung des Kampfers weiß übrigens der Müllner-Peter genau wie Hahnemann: „Ohne Vermischung mit einigen Tropfen Weingeist, läßt er sich nicht fein pülvern.”
12. Fach Zerteilender Spiritus
Der „Zerteilende Spiritus” dient dazu, Schmerzen zu „zerteilen” im Sinn von „auflösen”. Er ist also ein lindernder, lockernder, erweichender und kühlender Umschlag bei Verrenkung, Verstauchung, Frost, Rheuma und Gicht etc. für Mensch und Tier. Ein Flanell-Lappen wird duchtränkt und auf die leidende Stelle aufgelegt oder aufgebunden.
Müllner-Peters Rezeptur erinnert stark an „Schmuckers zertheilenden Geist” aus Berlin von 1774 und ähnelt dem so genannten „Opodeldok”, der auf Paracelsus zurückgeht und den ich in meiner Praktikantenzeit noch ab und zu nach der Vorschrift des „Linimentum saponato-camphoratum DAB6” herstellen musste. Das zeigt, wie über alle Zeiten anerkannt und gültig diese Rezepturen sind.
Das Schreibbuch weist den Müllner-Peter als gebildeten und kundigen Heiler aus, der zwar keinen Arzttitel hatte, aber ganz auf der Höhe der Schulmedizin und der Pharmazie seiner Zeit war. Im Schreibbuch finden sich überwiegend Arzneimittel der damals gebräuchlichen Arzneibücher und nur ganz wenige aus der reinen Volksmedizin. Übrigens kurierte die Volksmedizin damals noch überwiegend mit Amuletten, magischen Ritualen und Bannsprüchen, wovon sich in Müllner-Peters Schreibbuch so gut wie nichts findet.
Ganz anders ist es im „Sachranger Rezeptbuch”, über das ich zum Abschluss ein paar Worte sagen und das ich Ihnen ausschnittsweise im Raum nebenan in Müllner-Peters „Apotheke” zeigen möchte.
Abschluss: Vergleich mit dem Sachranger Rezeptbuch
In einer Kammer über der Mühle hatte sich der Müllner-Peter eine Art Apotheke mit Gerätschaften und einer kleinen medizinisch-pharmazeutische Fachbibliothek eingerichtet. Neben seinem eigenen von ihm selbst
verfassten Schreibbuch hatte er auch eine ältere und umfangreichere handgeschriebene Rezeptsammlung in seinem Besitz, von der wir weder Herkunft noch Entstehungszeitpunkt noch Verfasser kennen und deren Original in den letzten Jahren wohl unwiederbringlich verloren gegangen ist.
Glücklicherweise noch rechtzeitig vor ihrem Verlust konnte Christoph Glaser am Medizinhistorischen Institut der Universität Würzburg diese Rezeptsammlung im Rahmen seiner zweiten Doktorarbeit auswerten und 2006 unter dem Titel „Das Sachranger Rezeptbuch” veröffentlichen. Das zweibändige Werk ist hier im Museum zu erwerben.
Das Original des Sachranger Rezeptbuchs war eine Handschrift mit 291 beschriebenen Blättern in oberbayrischer oder eher tiroler Mundart, deren Rezepte in den Jahren vor 1800 aufgeschrieben wurden, jedoch in ihrem Ursprung viel weiter zurückreichen. Die darin verwendeten Arzneien sind überwiegend pflanzlichen, teilweise auch tierischen oder mineralischen Ursprungs und haben volksmedizinische, manchmal aber auch magische Bedeutung. Im Abschnitt „Wässer" sind 71 pflanzliche Zubereitungen mit ihren jeweiligen Anwendungen genannt. Die Zubereitungsart wird aber nicht erläutert, weil sie anscheinend bekannt war oder weil es dem Ermessen des Heilers anheim gestellt wurde, wie er das Wasser zubereitete. Meistens dürfte es sich um Destillate gehandelt haben, doch kommen auch Dekokte in Frage. Neben zahlreichen komplizierten Salbenrezepturen, oft mit Bestandteilen, die wir heute ablehnen würden, beispielsweise alter Wagenschmiere, die von den Rädern tropft, taucht die Waffensalbe auf, ein sympathetisches Mittel, das nicht auf der Wunde, sondern auf der Waffe oder dem Gegenstand, der die jeweilige Wunde verursacht hat, appliziert wurde. Oder eine andere sympathetische Anwendung: „Ein bewährtes Mittel für den Rotlauf oder das Glogfeuer: trag einen Zahn von einem im März geschossenen Fuchs bei dir oder häng ihn an den Hals - probatum est - es hat sich bewährt." Bei Rotlauf soll auch helfen, wenn man mit Karpfengalle ein blaues Pauspapier bestreicht und die erkrankte Stelle damit räuchert. Die meisten Rezepte sind sehr komplex und kompliziert, wie es eben der damaligen Zeit entspricht, aber dennoch plausibel. So enthält ein Lungenpulver 15 verschiedene Pflanzen und dazu noch Bernstein, Schwefelblüte und Kandiszucker. Der Autor schreibt dazu: „Ein gutes Lungenpulver, an vielen probiert, ja ich hab selber schon über 15 bis 20 Pfund dergleichen gemacht ... mach alles zu Pulver; in einer Schachtel aufbehalten und morgens in einer Geißmilchsuppe, nachmittags in einer Fleischbrüh zu nehmen und eine Stunde darauf zu fasten." Auch überliefert das Rezeptbuch einen „Pest- und Reinigungsbranntwein" und "die „Gerechte Magenessenz", eine Art Schwedenbitter, zu dessen 19 Ingredienzien viele exotische Gewürze wie Ingwer, Muskatnuss, Nelken und Pomeranzenschale und einheimische Drogen wie Engelwurz, Wacholder, Lärchenschwamm und Bibergeil zählen. Es gibt im Sachranger Rezeptbuch auch ganz einfache Rezepturen, die wir heute als gültig anerkennen und deren Wirkung wir selbst ausprobiert haben, zum Beispiel das Magenpulver. Wir haben es nachgemischt und bieten es Ihnen im Museums-Shop an. „Nimm Zimtrinde und Ingwer, jedes 2 Loth, 1 Loth Kubeben (also 1 Esslöffel voll), Koriander und Gewürznelken ein Quintl (1 Quentchen ist etwa 1 Teelöffel voll), stoß es miteinander und stoß auch ein halbes Loth Zucker darunter; iss morgens und abends davon, das stärkt den Magen und es wird besser, aber alle Morgen und Abend muss es sein."
Ich habe vor, das Sachranger Rezeptbuch genauer zu studieren und Ihnen seinen Inhalt hoffentlich in einer späteren Ausstellung zu präsentieren.
Vielen Dank für Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit.